Rezension: The Body keeps the Score, Brain, Mind and Body in the Healing of Trauma

01.02.2015 18:06

The Body keeps the Score, Brain, Mind and Body in the Healing of Trauma, 2014

Bessel van der Kolk

 

Für Sie gelesen: Mag. Alexander Urtz, Psychologe und EMDR-Practitioner im Herz-Kreislaufzentrum Groß Gerungs

 

Persönlich erlebt habe ich Bessel van der Kolk heuer am Symposium "Psychotrauma" in Wien. Für mich war er der beste Vortragende und so lag es nahe, die Inhalte mit seinem neuen Buch zu vertiefen. Bisher gibt es das Buch nur in Englisch, als E-Book relativ günstig um 12 Euro.

 

Er beschreibt die Entwicklung der Traumaforschung entlang seiner eigenen Entwicklung und vielen Falldarstellungen.

 

Der Autor beginnt mit der Geschichte des Traumas. Damit, wie das Thema immer wieder aus dem wissenschaftlichen Diskurs verschwand, was meist politisch gewollt war. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde es aber wieder entdeckt und seit der Rückkehr traumatisierter Soldaten aus Vietnam und den zeitgleichen gesellschaftlichen Umbrüchen ist es zu einem Dauerbrenner geworden.

 

Viele der alten Traumabeschreibungen können heute durch die Gehirnforschung erklärt werden. Traumatherapie ist eine Therapie auf der Ebene des limbischen Systems, unseres "Säugetiergehirnes". Unser rationales Denken (dorsolateraler präfrontaler Cortex) hat keinen direkten Zugang zu den tieferen Gehirnbereichen. Es führt aber ein Umweg über die Selbstwahrnehmung (medialer präfrontaler Cortex) dahin. D.h. jede Traumatherapie braucht Elemente zur Förderung der Selbstwahrnehmung des Körpers. Keine Traumatherapie ohne Selbstwahrnehmung.

Er berichtet vom Kennenlernen der einzelnen Therapien wie EMDR,  Neurofeedback, Theater (hat mich besonders überrascht), Familienstellen (Psychomotor Therapie), Yoga, EFT, Ego-State Therapie und sie in seine Praxis einbaute und beforschte. Dabei sieht er das Feld noch lange nicht erschöpft. Auch andere Techniken wie Thai Chi, Qigong, Aikido, Judo, ... oder das rhythmische Trommeln aus Afrika haben Potential, sind aber in ihrer Wirkung nicht erforscht.

Besonders würdigt er die Arbeit Desmond Tutus und der Truth and Reconciliation Comission in Südafrika. In den Dörfern, getragen von der Gemeinschaft mit Trommeln und Tanz, war es den Überlebenden und Zeugen der Gräuel der Apartheit möglich, ihre Traumen zu berichten, zu verarbeiten und den Tätern zu vergeben.

 

Welche Wege Bessel van der Kolk zur Traumaforschung beschritt, zeigt auch eine kurze Geschichte seines Sohnes, der an einer "obskuren" Erkrankung litt, die ihm die Teilnahme am normalen Leben mit Freunden, Schule und Hobbys schwer machte. Van der Kolk und seine Frau hatten große Sorge, dass er sich zu einem mürrischen, sich selbst hassenden Einzelgänger entwickeln würde. Den Weg ins normale Leben zurück fand er über das Theater.

 

EMDR wendet er nach anfänglichem Misstrauen seit 20 Jahren an. Drei Dinge faszinieren ihn dabei bis heute:

1) EMDR schafft es sehr schnell, Zugang zu lose assoziierten Erinnerungen zu schaffen und hilft, traumatische Erinnerungen in einem größeren Kontext zu sehen.

2) Dies geht auch, ohne dass man über das Trauma spricht.

3) EMDR hilft sogar dann, wenn der Patient und der Therapeut keine gute Beziehung haben. Dies ist besonders bemerkenswert, da es einerseits traumatisierten Menschen oft sehr schwer fällt, sich vertrauensvoll jemandem zu öffnen und andererseits eine gute therapeutische Beziehung als Grundlage jeder Psychotherapie gesehen wird.

 

Leider sind in der westlichen Welt immer noch sprachgebundene Therapien und die Psychopharmakologie zentral in der Behandlung von psychischen Problemen.

 

Besonders groß ist die Enttäuschung des Autors, dass die Aufnahme der Diagnose: Developmental Trauma Disorder in das DSM V von der APA abgelehnt wurde. Von ihr erhoffte er sich eine Konzentration der Forschungsmittel auf die Themen Entwicklungsbeeinträchtigungen und Trauma in Folge von Vernachlässigung, sexuellem und emotionalen Missbrauch in Kindheit und Jugend.

 

Abschließend wirbt er für die Verhinderung von traumatisierenden Lebensumständen und appelliert an die soziale Verantwortung der Gesellschaft.

 

Das ist in den USA besonders schwer, da alle Schwierigkeiten eines Menschen als seine individuellen Probleme gesehen werden.

Die Verantwortung des American Way of Life für Armut, Arbeitslosigkeit, Segregation der sozialen Schichten, Kürzung der Unterstützung für benachteiligte Familien, Kürzungen von Schulgeld, Abschaffung von Essensmarken für Kinder, deren Eltern im Gefängnis sind, Kriminalität, Verfall der Innenstädte, Substandardwohnungen, universelle Verfügbarkeit von Waffen, keine flächendeckende Gesundheitsfürsorge, ... werden von weiten Teilen der Politik vehement abgelehnt.

 

Ein Buch gut zu lesen mit einem weiten Spektrum.

Für mich war es ein ausgezeichnetes Trauma - Update.

 

Alexander Urtz, Groß Gerungs am 12.11.14