Wie der Phönix aus der Asche

Fr. P. kam mit organisch unklaren Brustschmerzen zu mir in Behandlung. Einen Herzinfarkt hat sie überlebt, aber am belastetsten war für sie der Tod des Gatten vor 3 Jahren. Mit ihm war sie mehr als 45 Jahre verheiratet, hat mit ihm drei Kinder groß gezogen, Haus gebaut, …  Zuerst vermutete ich, dass sie noch um ihren Mann trauert und die Trauer ihr die Brust einschnürt. Sie konnte aber liebevoll und auch durchaus kritisch von ihm erzählen. Bei einer Situation musste sie aber mit den Tränen kämpfen.

Ihr Mann war sehr sportlich und sehr stolz auf seine körperlichen Fähigkeiten bis über das Alter von 70 Jahren hinaus. Dann erkrankte er an Parkinson und verlor immer mehr die Herrschaft über seinen Körper. Er war auf Hilfe angewiesen. Seine Gattin leistete die Hilfe mit Hingabe und Kompetenz. Ihm fiel es aber sehr schwer, diese Hilfe von auch anzunehmen. Er konnte einfach seinen körperlichen Verfall und die zunehmende Abhängigkeit nicht akzeptieren. Dies führte immer wieder zu gefährlichen Stürzen. Einmal hatte es sich Fr. P. gerade auf der Terrasse gemütlich gemacht. Zuvor hatte sie ihrem Gatten noch eingeschärft, sie zu rufen, wenn er aufstehen wolle, damit sie ihm helfen könne. Da krachte es.

Fr. P. stürzte in das Wohnzimmer, Hr. P. lag am Boden. Halb wahnsinnig vor Sorge, Verzweiflung und Wut schreit sie, während sie ihm aufhilft, warum er um Himmels Willen sie nicht gerufen habe und er nicht ihre Hilfe annehme. Hier fühlte sich Hr. P scheinbar in seiner Integrität verletzt und schrie seinerseits, was sie sich denn einbilde und was sie denn überhaupt glaube, wer sie sei. Später äußerte er, dass er in ein Pflegeheim möchte, da sie offensichtlich mit ihm überfordert sei. In das Pflegeheim ist er schließlich doch nicht gegangen. Fr. P hat ihn bis zu seinem Tode zu Hause gepflegt. Das letzte gemeinsame Monat hat Fr. P. als besonders nah und liebevoll in Erinnerung.Trotzdem hat sich der eine Tag des Sturzes in ihr eingebrannt, verbunden mit der Überzeugung: "Ich habe versagt".

Danach gefragt, wie belastend diese Erinnerung gemeinsam mit der Überzeugung: "Ich habe versagt", von 0-10 sei, sagte sie: Acht. Einen Versuch, diese Belastung zu reduzieren, wollte die Patientin gerne wagen. Zuerst suchten wir nach einer passenden positiven Überzeugung. Nicht nach einer rational richtigen, sondern nach einer, die sich gut anfühlt. "Ich bin kompetent‘" war hier der Satz, den sie als am geeignetsten fand. Verbunden mit sanftem Klopfen am Brustkorb stellte sich ein freieres Gefühl ein. "Das tut gut" meinte sie. Nachdem sich das Gefühl etwas vertieft hatte, wagten wir eine Konfrontation mit der traumatischen Erinnerung. Fr. P. beobachtete diese Erinnerung und klopfte links und rechts am Brustkorb. Der Satz "Ich bin kompetent" erschien mir in diesem Moment nicht ganz passend und ich ließ sie den Satz: "Das ist lange her" nachsprechen, und tatsächlich begann sich die Erinnerung zu distanzieren. Ein Kennzeichen einer traumatischen Erinnerung ist, dass sie dem Betroffenen immer wieder gleich und ganz nah vor Augen steht. Mit dem Satz: "Es ist lange her", versuchte ich die zeitliche Distanz bewusst zu machen. Fr. P. beschrieb auch, wie die Bilder der Erinnerung von ganz nah auf mehrere Meter im Raum wegrückten. In einer weiteren Serie begannen wir den Satz: "Ich bin kompetent‘" einzuweben. War Fr. P., als sie das erste Mal von dem Vorfall erzählte, den Tränen nahe, so war sie jetzt ruhig und konzentriert. Am Ende der Behandlung sagte sie: "Jetzt ist etwas von mir abgefallen. Es mag seltsam für Sie klingen, aber ich komme mir vor wie Phönix aus der Asche. Der Schmerz, die Selbstvorwürfe, die Schuldgefühle, … sind wie zu Asche geworden und einfach abgefallen." Dieses Bild gefiel mir und ich bat Fr. P. es noch etwas zu beobachten und weiter zu klopfen. Sie machte dabei einen glücklichen und befreiten Eindruck. Den Satz: "Ich bin lebendig" fand sie sehr passend. Den Vorschlag: "Ich bin frei", fand sie mit der Begründung: "Ich möchte ja nicht frei von meinem Mann sein" nicht so gut.

Nach Ende der Behandlung fühlte sie sich speziell im Brustbereich leicht und befreit. Die unklaren Brustschmerzen waren nach 2 Behandlungen vollkommen verschwunden. Abschließend meinte sie: "Ich werde noch nicht klein beigeben und wer weiß, vielleicht habe ich noch ein paar gute Jahre auf dieser Welt." Ich wünsche ihr von Herzen alles Gute.